Thomas hier…

Die Zeiten

Von Zeit zu Zeit brauche ich Offline-Zeiten und Zeit für mich. Diese Zeit nehme ich mir dann auch. Zum Beispiel zum Lesen, zum Klavier üben, zum Musik hören, zum Kochen oder Meditieren. Ganz bewusst auch einfach mal nichts tun (müssen). Ja und ich gebs zu, die eine oder andere Lieblingsserie wird dann auch geschaut. Auch für Freunde und Familie muss dann Zeit sein – ohne Termine, ohne auf die Uhr zu schauen. Ich nenne das auch ganz gerne „mich treiben lassen“.

Ich lese gerade ein Buch mit dem Titel:“Das überforderte Subjekt“ von Thomas Fuchs, Lukas Iwer und Stefano Micali (Herausgeber) (Suhrkamp, Berlin 2018). In diesem Buch geht es um das allgegenwärtige Thema Burn-Out und wie wir mit unserer Zeit umgehen. Interessant dabei auch, dass das Zeitphänomen „Burn-Out“ weit weniger stigmatisiert wird als Depressionen oder Angst- oder psychosomatische Störungen. „Burn-Out“ ist hoffähig geworden. Dies stellt kein Abwerten einer ernsthaften Krankheit dar, aber Betroffene können sich eher öffnen, wenn sie über dieses Krankheitsbild reden. Für viele Manager scheint es ja fast eine Auszeichnung zu sein.

Aber zu meinem eigentlichen Thema. Es gibt verschiedene Arten von Zeiten. Die Zeit, die Thomas Koch in seiner Abhandlung die „lineare Zeit“ nennt. Die Zeit, die wie ein Pfeil in Sekunden, Minuten, Stunden usw. einfach läuft. Nach vorne. Kein Zurück. Einfach so.

Dann gibt es aber eben auch die Eigenzeit. Unsere ganz individuelle Zeit, die Zeit, die wir beispielsweise bei unserem Tag/Nacht Rhythmus haben. Unsere Zeiten, in denen wir kreativ arbeiten können, die Abschnitte am Tag, in denen wir uns am besten konzentrieren können. Die Auszeiten, die wir brauchen.

In der heutigen Zeit, allgemein in der westlichen Welt hat das lineare Zeitprinzip die letzten zwei Jahrhunderte immer mehr die Oberhand gewonnen. Es gibt Qualitätsmanager in Firmen, die nur die Aufgabe haben, dass wir während unserer Arbeitszeit so effektiv und produktiv wie möglich unseren Job machen. Wir selbst setzen uns unter Druck und wollen, müssen, innerhalb einer bestimmten Zeit unsere To-Do’s erledigt haben. Unter diesem Druck werden wir mit uns selbst immer unzufriedener, weil wir uns damit auch immer mehr aufbürden. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich durch mein Leben gezogen werde, dann ist das ein ernstzunehmendes Signal. Nicht selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt. Wenn man eine gewissen Unrast und Ruhelosigkeit verspürt, ist man in dieser Spirale gefangen. Schon während der Erledigung einer Aufgabe an die nächste und übernächste denken zu müssen, hindert uns daran, wirklich in der Gegenwart zu leben. Oftmals trägt man dann diese Rastlosigkeit auch in die Freizeit mit hinein und wir füllen sie mit weiteren To-Do’s und Erlebnissen in immer noch schnelleren Zeitabständen. Manchmal oft auch, um die Leere zu füllen, die entstanden ist, weil man z.B. die sozialen Kontakte vernachlässigt hat.

Dann ist es wichtig, dieses Gefühl zu erkennen. Wichtig dann, entgegenzusteuern. Koch schreibt: „Wenn man nicht in der Lage ist, wieder einen neuen Rhythmus zu finden, sollte man aufmerksam werden. Denn dann ist man im linearen Zeitmodus“. Man vernachlässigt dann das, was Koch die „Leiblichkeit“ nennt. Sich erholen, regelmässig schlafen, zum Beispiel. Zeit für andere und sich selbst zu haben gehört zum Menschen genauso wie Genuss. Wenn wir zum Beispiel beginnen, aus Zeitgründen nur noch irgend etwas zu essen, es nicht mehr geniessen, eine Mahlzeit nicht auch als Auszeit annehmen, sollten wir das ernst nehmen.

„Burn-Out beginnt dort, wo Menschen ihre körperlichen und seelischen Regenerationsprozesse vernachlässigen, indem sie immer mehr oder immer angestrengter arbeiten“, so Koch in einem Interview.

Das lineare Zeitprinzip hat unsere Gesellschaft geprägt und uns sicherlich auch dahin geführt, wo wir heute stehen. Es wurde ja auch von nichtwestlichen Kulturen übernommen. Wir, jeder Einzelne, muss aber darauf achten, dass wir eine gute Balance halten, zwischen dem linearen Zeitsystem und unserem eigenen Zeitbedürfnis.

Diese Lebensbedürfnisse müssen wir ernst nehmen. Achtsamkeit. Manchmal heisst das ja auch vielleicht, dass wir auch einmal NEIN sagen müssen. Beruflich wie privat. Selbstreflexion gehört auch zu einem gesunden Umgang mit unseren Zeiten. Man darf, nein muss sich manchmal auch die Frage stellen, ob die jetzige Situation das ist, was man sich vorgestellt hat und sich das auch für die nächste 2, 5 oder 10 Jahre vorstellen kann.

Ich wurde kürzlich gefragt, wann ich gedenke, in Rente zu gehen. Ich war fast schockiert, so alt bin ich ja nun auch noch nicht. Diese Frage hat aber dennoch so einige Denkanstösse gegeben. Ich habe auch daran gedacht, wie z.B. mein Vater sich die Rente, den Ruhestand herbeigesehnt hat. Mit jedem Jahr, das er älter wurde, war auch immer der Gedanke im Hinterkopf, wie lange es bei ihm noch bis zur Rente geht.

Ich persönlich kann es mir gar nicht vorstellen, mit dem, was ich tue, einfach aufzuhören. Ich halte mich fit und das, was ich tue erfüllt mich so sehr, dass ich mich auch darauf freue, Montag wieder ran zu dürfen. Sicher fühle ich mich auch manchmal etwas gehetzt, wenn ich meinen Terminkalender anschaue, aber all das mache ich, weil es mir Spaß macht und vor allem habe ich mir die Termine selbst in meinen Kalender eingetragen. Ich achte aber auch immer darauf, dass ich mir meine Auszeiten gönne. So zum Beispiel am letzten Feiertag und dem anschließenden Brückentag. Auch im Alltag gönne ich mir Auszeiten mit Fototouren, dem Fitnessstudio, meiner Laufrunde und Gesellschaft mit Freunden und Familie.

Thomas Koch hat in einem Interview gesagt, dass der Mensch von Natur aus ein unzufriedenes Wesen ist und uns das Leben im linearen Zeitstrahl auch deswegen entgegen kommt. Zeitsouveränität bestünde aber darin, sich nicht davon beherrschen zu lassen, sonder immer wieder in der Gegenwart der zyklischen Zeit anzukommen.

In diesem Sinne wünsche ich ein achtsames und erfülltes Wochenende.

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