Thomas hier…

Alles anders

Heute versuche ich mich mal mit einer kleinen Kurzgeschichte… viele Diskussionen hier im Blog haben mich inspiriert. Über Arbeit, Sinn und Entscheidungen, die man selber trifft, die getroffen werden… Passt eigentlich gar nicht zu diesem heutigen wunderbaren Sonntag, aber ich habe mir das vorgenommen und jetzt einfach runtergeschrieben.

Freue mich über Eure Kommentare…

18.07.: Jetzt schon darf ich mich für Eure lieben und konstruktiven Kommentare bedanken und ja, es gibt eine Fortsetzung!

18.7. Ab sofort lest ihr hier eine Version bei der ich Hilfe hatte, einiges war noch nicht so ganz rund und viele kleine Fehler hatten sich eingeschlichen. Danke Dir sehr!

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Alles anders

Es war ein kühler und wechselhafter Tag in Hamburg. Sonne und Regen im Stundentakt: Ein Sommertag im Juli. Er stand am Fenster seines Hotelzimmers, schaute hinaus, der Michel ragte über die Häuserfronten. Schon wie er am Nachmittag aus dem Flieger ausstieg, das komische Gefühl, dass irgendetwas anders ist. Den ganzen Tag über hatte er über den Traum, der ihm in Erinnerung geblieben war, nachgedacht. Was war das? Er war sich seiner Sache plötzlich nicht mehr so sicher. Dass es mit seiner Beziehung schon länger eher schwierig war, das hing wie ein Damokles Schwert über ihm. Eine Entscheidung war längst überfällig. Vielleicht war dieser wirre Traum ein Zeichen?

Sein Job, Verkaufs- und Projektleiter für große, internationale Kunden, der machte ihm schon seit längerem keinen richtigen Spaß mehr: Die Leidenschaft war ihm irgendwann ganz schleichend abhandengekommen und das Gespräch, welches er am späten Nachmittag mit seinem Chef haben sollte, war schon länger geplant und jetzt dann doch sehr schnell zustande gekommen. Auch das beschäftigte ihn.

Noch gut eine Stunde bis zu diesem Gespräch. Er war bestens vorbereitet, hatte seine Strategie nochmals in Nachtarbeit verfeinert und fühlte sich gut vorbereitet, die nächsten Projekte mit diesem Großkunden in der Hansestadt ebenfalls betreuen zu dürfen. Davon hing einiges für ihn ab, sicherten diese Projekte doch seine berufliche Zukunft und den Lebensstandard, den er halten wollte. In den letzten Minuten vor dem Gespräch packte er seine Unterlagen zusammen. Er fragte sich, warum das Treffen in Hamburg anberaumt wurde, den die Konzernzentrale doch 400 km entfernt in Düsseldorf. Vielleicht hatte sein Chef ja einen Termin zusammen mit dem Kunden aus Hamburg arrangiert? Er fühlte sich nicht besonders wohl, konnte aber nicht genau bestimmen, woher dieses Gefühl kam.

Jetzt stand ihm erst mal das Gespräch mit seinem Chef bevor, den er ja schon seit 12 Jahren kannte, und der nicht nur sein Chef sondern auch sein Freund war.

Die beiden Weggefährten trafen sich in der Hotellobby. Als er aus dem Aufzug trat, wartete sein Chef schon auf ihn. Sie begrüßten sich überraschenderweise eher reserviert. Keine herzliche Umarmung, wie sonst üblich. In der letzter Zeit trafen sie sich immer weniger und wenn, dann auch nur noch bei besonderen geschäftlichen Terminen. Sein Chef machte einen bedrückten Eindruck und begann das Gespräch mit einem: „Schön, Dich zu sehen, wie geht es Dir?“

„Es geht mir gut. Danke.“

Beiden war bewusst, dass Smalltalk nicht angesagt war, also machte er den ersten Schritt und fragte ganz direkt: „Was ist der Grund, dass wir uns heute in Hamburg so überraschend treffen?“

Sein Chef machte einen nachdenklichen Eindruck und er merkte, dass er nicht wusste, was und wie er antworten sollte.

„Manchmal ist es besser, sich an einem neutralen Ort zu treffen. Schön, dass es bei Dir mit diesem kurzfristigen Termin geklappt hat.“

Sie setzten sich an einen Tisch im Restaurant, an dem sie sich in aller Ruhe unterhalten konnten, bestellten etwas zu trinken und sahen sich erst einmal bedrückende Minuten stumm an. Schließlich holte sein Chef Luft und führte aus, warum man sich getroffen hatte. Zunächst einmal berichtete er vom Konzernumbau: Junges Blut, was man sich in das Management geholt hatte. Er sprach von neuen Strategien, die er ja auch über die internen Berichte mitbekommen haben sollte. Schon lange hatte er die internen Erfolgsmeldungen und Selbstbeweihräucherungen nur noch überflogen …

Sein Chef sagte aber auch, vielleicht um sich keine Blöße zu geben, dass er selbstverständlich mitbekommen hätte, was da alles vor sich ginge, und es ja auch nötig wäre, sich der sich verändernden Geschäftswelt anzupassen. Dass allerdings der Vertrieb komplett umgebaut werden sollte, davon stand nichts in den internen Mitteilungen und auch, dass auch dieser verjüngt werden sollte, das erfuhr er jetzt von seinem Chef. Er wusste genau, was das hieß, ohne nachzufragen. Stille! Eine gefühlte Ewigkeit!

Er hatte vergessen, sein Handy auf stumm zu schalten und so wurde die Stille von einer Nachricht seiner Partnerin unterbrochen: Warum meldest Du Dich nicht? Was ist denn los? Ruf mich an!, stand da auf seinem Display. Er las die Meldung und sein Chef merkte, dass er dadurch kurz abgelenkt war und fragte: „Wichtig?“

Er schüttelte leicht den Kopf und meinte nur: „Das Übliche, kein Problem und wichtig schon mal gar nicht. Sorry für die Störung, aber was heißt das denn jetzt für mich?“

Es kam noch einmal die Geschichte vom Konzernumbau und die Neuausrichtung des Vertriebs, und dass man verdiente Mitarbeiter ja auch zu schätzen wüsste. Das alles klang wenig überzeugend und hohl in seinen Ohren. Er musste die Frage nochmals stellen, um das ganze Heranführen an ein Thema, welches er so sicher nicht hören wollte, dann doch besprochen werden musste. Sein Chef meinte, dass dadurch natürlich niemand entlassen werden müsse aber sich für ihn doch einiges ändern würde. Man wolle, dass er ein Team von Junior Projektleitern in der Konzernzentrale in Düsseldorf leitete. Kein Außendienst mehr.

„Männer in unserem Alter wollen doch auch mal einen festen Bezugspunkt haben, nicht in aller Welt unterwegs sein und von einem Hotel zum nächsten zu reisen, oder?“

Wieder diese Stille. Er musste dazu auch gar nichts sagen. Er wusste sofort, dass das, was ihm sein Chef ihm jetzt eröffnete, gar nicht mehr zur Diskussion stand, sondern er so schnell als möglich in den Innendienst versetzt werden sollte. Seine Freiheiten, die er genossen hatte, sollten einem Nine-to-Five-Job weichen? Er war seit über 20 Jahren für diese Firma, die mit 50 Mitarbeitern begonnen hatte, dann im Zuge der sogenannten Globalisierung von einem international tätigen Konzern gekauft, – nein, eher geschluckt wurde,- im Außendienst tätig. Hatte den direkten Kontakt zu seinen Kunden und genoss das. Er bemerkte zwar auch, dass es mit zunehmenden Alter anstrengender wurde, aber ins Büro wollte er eigentlich nie zurück. Und jetzt wurde er erst gar nicht danach gefragt, ob das für ihn überhaupt in Frage käme. Er Wurde vor vollendete Tatsachen gestellt.

Nach ein paar Minuten wurde die Stille abermals durch seinen Chef unterbrochen, beide schauten sich an.

„Mein lieber Klaus, ich muss Dir auch sagen, dass es da in letzter Zeit einige Ungereimtheiten gab. Eine anonyme Email an den Vorstand und Kritik an deiner Einstellung zum Job. Ich hab dich immer verteidigt, aber jetzt mit dem ganzen neuen Management, habe ich da wenig Argumente, warum du weiter im Außendienst tätig sein solltest. Ich werde auch nicht länger dein Vorgesetzter sein. David, ein hervorragender Mann mit Harvard Business Abschluss wird künftig President Sales and Marketing und du wirst seinem Teamleiter unterstellt sein. Ich werde künftig als President International Strategy im Management sitzen.“

In Sekundenbruchteilen wurde ihm klar, warum sich sein Chef und Freund sich so plötzlich von ihm distanziert hatte und nur noch, wenn überhaupt, sich mit ihm in größerer Runde zu den Meetings traf. Da war einiges im Hintergrund gelaufen. Dieses ungute Gefühl, welches er seit geraumer Zeit hatte, bestätigte sich jetzt. Er versuchte, das, was ihm innerhalb von Minuten passiert war, in Worte zu fassen, Doch eine Zusammenfassung fiel ihm schwer.

„Lass mich das einfach noch einmal für mich zusammenzufassen, mein Freund. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, hast du deine Schäfchen ins Trockene gebracht, mich im Unklaren gelassen und zugelassen, dass man mich aufs Abstellgleis stellt, richtig?“

Sein Chef machte einen sehr ernsten Gesichtsausdruck und meinte nur, dass man das so nicht sehen könnte. Er hätte als Teamleiter doch jetzt ganz neue Möglichkeiten. Seine jahrelange Erfahrung könnte er endlich auch einmal an jüngere, hungrige Menschen im Team weitergeben. Und außerdem solle er besser aufpassen, dass er sich jetzt nicht im Ton vergreife.

„Ok, ich habe jetzt hier gar keine Möglichkeit, das mit dir zu diskutieren, es ist wohl auch schon alles entschieden, oder?“

Sein Chef meinte:“ Ja, das ist jetzt so, ab dem nächsten Ersten, erwarten wir dich in deinem neuen Büro in Düsseldorf und glaube mir, ich habe sehr für dich gekämpft!“

In diesem Moment sah er, dass seine Partnerin versucht hatte, ihn anzurufen, er drehte das Handy um … Es war alles entschieden!

„Den neuen Vertrag habe ich gleich mitgebracht Alles, was fehlt ist deine Unterschrift und ich würde das heute gerne mit dir gleich wasserdicht machen“.

Er überlegte kurz, irgendwie war das alles zu viel für ihn, er hatte gar keine Möglichkeit als … Das schoss ihm jetzt durch den Kopf und er sprach es offen aus: „Peter, wir kennen uns nun schon so lange, ich hätte nie geglaubt, dass das wirklich mal ein Thema würde. Du hast mich für Deine eigene Karriere einfach fallenlassen. Du wirst von mir keine Unterschrift bekommen, ich werde kündigen.“

Sein Chef lächelte gezwungen: „Klaus, lieber Klaus, mach jetzt nichts, was du bereust, Leute in unserem Alter bekommen nicht zweimal diese Chance, die sich uns hier bietet, Unterschreibe und wir schauen, dass Du zurechtkommst. Ich habe das dem Vorstand bereits zugesagt, dass du weiter am Ball bleibst.“

Was er versprochen hatte, war, dass sein alter Freund das Angebot irgendwie annehmen würde, ohne dass man hohe Vergleichszahlungen, Abfindungen und einen arbeitsgerichtlichen Prozess zu erwarten hätte.

„Ich werde mir das ja wohl überlegen dürfen, oder? Ich gebe dir bis morgen Bescheid und diese Unterlagen, die ich für dich vorbereitet habe, die kannst ja einem deiner Emporkömmlingen geben, ich werde sie wohl nicht mehr brauchen!“

Mit diesen Worten verabschiedete er sich ohne Gruß, ging er zum Fahrstuhl. Schon im Fahrstuhl war ihm klar, dass es wohl das letzte Mal war, das er mit seinem Chef, – und wie er jetzt empfand, mit seinem ehemaligen Freund, – zu tun gehabt hatte. Auf dem Zimmer angekommen, setzte er sich in den großen weichen Sessel und ignorierte weiter sein Handy und die entgangenen Anrufe von Kunden und Geschäftspartnern und vor allem die von seiner Partnerin. Er brauchte jetzt Zeit für sich. In Wirklichkeit war ihm innerhalb weniger Minuten klar, was er als nächstes zu tun hatte.

Er zog seine Jacke an, seinen Hut und ließ das Handy einfach auf dem Schreibtisch liegen. Rüber zu den Landungsbrücken und endlich einmal diese Hafenrundfahrt genießen, die er schon immer machen wollte. Aus Pflichtbewusstsein und aufgrund eines immer vollgepackten Terminkalenders hatte er das immer wieder verworfen. Heute, nun endlich.

Ganz langsam, gemütlich spazierend, ging er zu den Landungsbrücken hinüber und begab sich dann zu einer der Barkassen, mit der er gut eine Stunde unterwegs sein würde, um den Hamburger Hafen und die Speicherstadt zu erkunden. Er freute sich darauf und es ging ihm schon besser. Er genoss die Fahrt. Der Wind war kalt in den engen Kanälen, er saß draußen, ganz allein. Hörte auch gar nicht zu, was der Kapitän an Erklärungen abgab. Es war für ihn ein Moment der Freiheit. Er sah die grossen Schiffe, die ihre Last abluden oder mit Ware und Containern beluden. Er fragte sich, welches Ziel diese Schiffe wohl als nächstes ansteuern würden, woher es kam und wie viele Menschen es wohl beherbergte. Die kleine Barkasse sah neben diesen mächtigen Schiffen wie eine Nussschale aus. Er schaute hinauf und sah einige fröhliche Menschen an der Reling stehen. Schon allein wegen des Ausblicks den diese Menschen wohl genossen, wollte er auch da oben stehen.

Dann fuhr seine Hand in die Jackentasche und suchte vergebens nach seinem Handy, um eingegangene Emails und Anrufe zu checken. Das war fast schon eine unterbewusste Handlung. Er erschrak kurz, dann fiel ihm ein, dass er sein Handy ja im Hotelzimmer zurückgelassen hatte. Wieder so ein Moment, der bei ihm im ersten Moment Unbehagen auslöste, dann aber in Erleichterung und einer Art Freiheit mündete. Er war in Gedanken: Heute hat sich alles verändert. Alles anders – von einem auf den nächsten Moment.

Als die Barkasse wieder anlegte, begab er sich in das Portugiesenviertel und trank dort erst einmal einen trockenen Weißwein. Nachmittags Alkohol, das ging eigentlich gar nicht. Eigentlich! Er erinnerte sich an einen Freund, den er schon lange nicht mehr gesehen hatte, der ihm vor langer Zeit einmal eine freie Tätigkeit in seiner Firma als Berater angeboten hatte. Das war das, was er die letzten 20 Jahre erfolgreich gemacht hatte. Das war, was er auch die nächsten Jahre machen wollte.

Er würde ihn anrufen, das war klar. Noch am Abend, sobald er wieder im Hotel zurück war. Seiner Partnerin würde er mitteilen, dass er zunächst in Hamburg bleiben und eine Auszeit brauchen würde. Er wollte sich über alles klar werden. All das, was ihn die letzten Jahre eher belastet hatte, was ihm nicht gut tat, das wollte er nun anders, besser machen.

Als er im Hotel ankam, verlängerte er seinen Aufenthalt erst einmal um eine Woche. Er bat seinen Chef per Email, ihm den noch zustehenden Urlaub zu gewähren. Seine schriftliche Kündigung avisierte er. Dann rief er seine Partnerin an und teilte ihr mit, dass er die nächsten Tage, -ja vielleicht auch Wochen – in Hamburg bleiben würde. Es gab noch so viel zu entdecken und seinen Freund rief er dann auch noch am selben Abend an. Die beiden hatten ein sehr angenehmes Telefonat. Man vereinbarte ein Treffen am nächsten Tag …

Teil 2

 

 

 

 

 

 

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