Höflichkeit

Höflichkeit ist wie ein Luftkissen,
es mag wohl nichts darinnen sein
aber sie mildert die Stöße des Lebens bedeutend.
Arthur Schopenhauer

Ich habe in der Wochenendausgabe der SZ einen überaus lesenswerten Artikel im Kulturteil gelesen.

Darum ging es vor allem um die Freundlichkeit der Amerikaner. Dieses „How Are you“ , „Have A Nice Day“ und die Kosenamen, die auch sehr gerne verteilt werden. „Sweetheart“, „Honey“ und was weiss ich. Ich war, wie ich das erste Mal in Amerika war, etwas erstaunt, man gewöhnt sich aber schnell daran. „So viele Kosenamen bekommst Du ja von Deiner Liebsten nicht“, dachte ich mir dabei auch, so wie die Autorin dieses Artikels.

Du betrittst den Fahrstuhl morgens um 7 nach einer kurzen Nacht und einer ist in jedem Fall dabei, der Dich mit der Frage konfrontiert, wie es Dir geht. Eigentlich müsste er das gar nicht fragen, sieht er doch, dass ich noch nicht fit bin. Smalltalk einfach so ist nicht so meins. Ich habe mich dann auch schon ertappt, wie ich antworte: „Fine thank you, how are you doing today?“ – Oberflächlich, wie ich finde – ist es etwas, was wir von den Amerikanern lernen sollten? Wäre die Welt damit etwas freundlicher?

Manchmal betrete ich ein deutsches Geschäft oder ein Restaurant und da spüre ich sofort, dass ich nur Arbeit bin, dass ich dafür aber auch nicht erwarten darf, dass man mir freundlich entgegenkommt.

Ich glaube Schopenhauer hat das schon richtig erkannt. Vielleicht habe ich das zum Teil auch adaptiert. Ich frage Menschen auch gerne danach, wie es ihnen geht, aber eben auch nur, wenn es mich interessiert, wenn mir an diesem Menschen auch wirklich was liegt. Mit Kosenamen tue ich mich eher schwer, ich könnte mir nicht vorstellen, fremde Menschen, Frauen hier, mit „Schätzchen“, „Süße“ oder sonst was zu begrüssen. Auch bei weiblichen Bekannten oder Kolleginnen bin ich damit sehr vorsichtig. Das würde in Deutschland sofort als Anmache angesehen werden, oder nicht? Am Arbeitsplatz könnte man ja sogar eine Abmahnung erhalten. Und trotzdem bemühe ich mich, den Menschen freundlich entgegen zu treten, sie wertzuschätzen und mit einem Lächeln zu beschenken unabhängig davon, ob es die Klofrau an der Autobahnraststätte ist, der Verkäufer, die Verkäuferin, den Polizisten (na ja kommt drauf an…) oder den Chef eines Unternehmens. Wenn ich jemanden mit „Süße“, „Schatz“ oder „Hübsche“ anspreche, dann ist es meine „Süße“, „Hübsche“, mein Lieblingsmensch halt.

Mich in einem Geschäft mit einem Lächeln und dem Wunsch nach einem schönen Tag zu verabschieden, auch Telefonate so abzuschliessen, das gehört für mich fast schon zur Einstellung, aber eben auch nur, wenn ich es dem Gegenüber tatsächlich auch wünsche. Wenn das Gespräch doof war, gibt es eben auch nur ein „Wiederhören“, „Ciao“ oder „Tschüss“.

Höflichkeiten, wie jemandem die Türe aufhalten, vorzulassen und auf Andere zu achten, ihnen zu helfen sind hingegen Verhaltensweisen, die den Umgang mit unseren Mitmenschen einfach angenehmer machen, aber auch gewollt und ehrlich – Anstand und angenehme Umgangsformen halt. Ich erinnere mich an eine Begebenheit, wie ein blinder Mitmensch am total „verbaustellten“ Stuttgarter Hauptbahnhof dastand und etliche Menschen gefragt hat, ob sie ihn in die Haupthalle mitnehmen könnten. Ich habe das auf meinem Weg beobachtet, alle waren offenbar taub, das war sein Pech. Ich habe ihn bis in die Haupthalle mitgenommen, mich wirklich sehr angenehm mit ihm unterhalten und seiner Freundin übergeben. Es ist daraus auch eine wirklich nette Facebook-Freundschaft entstanden.

Wenn ich mich über jemanden ärgere, darf ich ihn das doch auch spüren lassen, oder? Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Authentizität und Offenheit das sollte dahinter stecken. Oberflächlichkeit und Komplimente, die ich nicht ernst meine – nicht mein Ding. Mit dieser Ehrlichkeit kommt man vielleicht nicht bei Jedem an, aber ab einer gewissen Lebenserfahrung will man das ja vielleicht auch gar nicht mehr. „Everyone’s Darling“ ist auch anstrengend 😉

Wie seht ihr das?

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29 Gedanken zu „Höflichkeit

    1. Texas ist nochmal anders, finde ich. Bei den Texanern hatte ich aber auch schon die Erfahrung, dass einem ehrlich gesagt wurde, wenn was nicht passt… war öfters in Dallas

      1. Dass man in Texas mehr ‚geradeheraus“ ist, das ist mir so noch nicht aufgefallen.
        Aber noch etwas zum Thema „Alltagshoeflichkeit hierzulande“: was mich immer wieder zutiefst erstaunt, ist der Kontrast zwischen der im Alltag staendig und immer zu beobachtenden Hoeflichkeit und Freundlichkeit, und dann der Gewalt, ebenfalls ganz alltaeglich.

        1. Na ja, Chicago ist da zum Beispiel anders… oder Las Vegas, da sind die ja alle auf Disney Land gebürstet 😉
          Ich habe mal einen sehr geschätzten Kollegen (Michael) im Auto in Dallas begleitet und ich habe ihn gefragt, warum die Highways so sauber sind, niemand seinen Müll aus dem Fenster wirft, so wie in Deutschland. Seine Antwort:“We’re gonna shoot them“ 😉

          Diesen Kontrast kriegst Du ja viel besser mit, aber in Deutschland ist das auch ein wachsendes Problem… aber der Kontrast ist nicht so groß…

          1. Na ja, auf den grossen Interstates mag es ja sein, dass nicht so viel rausgeschmissen wird, aber auf den kleineren sieht es doch (ganz) anders aus, auch hier in Texas, trotz der allgegenwaertigen Schilder „Don’t Mess With Texas!“ Das mit „we gonna shoot them“ ist ja nun die „echt amerikanische“ Problemloesung. 😉

            1. Das mit „we’re gonna shoot them“ war Spaß… hoffentlich… Trotzdem ich fand es immer schön, in Texas zu sein und ich habe meinen Müll immer da entsorgt, wo er hingehört..

  1. Höflichkeit und – ich möchte es erweitern auf Freundlichkeit – fehlt mir immer mehr in unserer Gesellschaft. Was ist so schwer daran, auch mal ein DANKE oder BITTE oder ein einfach nettes Wort zu sagen?
    Manchmal freue ich mich einfach über ein Lächeln, so anspruchslos sind wie geworden.

    Liebe Grüße und einen schönen Abend,
    Anna-Lena

  2. Ich sehe es ähnlich. Freundlichkeit grundsätzlich! „Go out and be kind.“ Stephen Fry hat das mal so formuliert – wenn er es nicht schon von jemanden übernommen hat. ^^
    Freundlich, aber nicht oberflächlich und unecht oder aufgesetzt und dick aufgetragen. Freundlichkeit und Ehrlichkeit (Authentizität inkl.) passen ja durchaus zusammen! Selbst bei Dingen, die mir gegen den Strich gehen, kann ich beim Klären der Angelegenheit dennoch freundlich bleiben in der Wahl meiner Äußerungen. Sie haben nicht weniger Wert, wenn sie respektvoll, mit einer Prise Humor oder einem entwaffnendem Lächeln daherkommen, als wenn ich sie übellaunig durch die Lippen presse. Klar muss es herüberkommen. Ohne Angriff, aber genauso auch ohne Süßholz raspeln und sich verstellen.
    Mein Gegenüber merkt, dass ich bremse, in Ruhe gelassen werden möchte oder anderer Ansicht bin – ist aber nicht gleich auf Zinne! Die Atmosphäre ist entspannter. Insofern ein Hoch auf Freundlichkeit, Offenheit und Konsorten. Höflichkeit natürlich auch – nur sich eben dafür nicht verbiegen. Im Fall der Fälle hilft dort zunächst Diplomatie.

    Kosenamen finde ich unpassend. Wenn jemand Fremdes sie mir gegenüber anwendet, fühle ich mich unwohl bis veräppelt.

    Ein interessanter Artikel, Thomas!
    LG Michèle

    1. Manchmal muss man sich gerade auch gegenüber Geschäftspartnern diplomatisch verhalten. Korrekt bleiben, schlechte Laune rüberbringen nutzt da auch nichts, natürlich. Aber verstellen sollte man sich wahrlich nicht.
      Danke für Deinen Kommentar
      Liebe Grüsse
      Thomas

  3. Bist mit dieser sehr schönen Denkweise und Einstellung wirklich nicht alleine Thomas…… auch ich ecke lieber mal an, als andere Menschen einfach unhöflich, unfreundlich zu ignorieren oder aber auch mich zu verstellen.
    Liebs Grüßle und klasse Beitrag!

  4. lieber Thomas …
    ja warum bringt uns Höflichkeit bzw. Freundlichkeit weiter im Leben???
    Freundlich sein macht einfach glücklich … und glückliche Menschen fallen nicht so schnell in die gefährliche Depressionen-Falle …
    – es sind die kleine Dinge die zählen … ein ehrliches Zu-Lächeln oder ein nettes Wort ausgesprochen – steigert bei *deinem Gegenüber* das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl …
    – jeder Mensch bedarf seiner Wertschätzung … sowas wie Harmonie und Sympathie kommen auf … Glücksmomente lassen nicht lange auf sich warten – verbissene Menschen setzen bei ihrer erzwungenen Freundlichkeit eine Maske auf – die wie ein erstarrtes Wachsgesicht wirken … auch solche Gesichtszüge bekommt man weich … indem strategisch vorgegangen wird … bitte Lächeln … 🙂
    – einen lieben Menschen in Gedanken umarmen und küssen – du transformierst es im Geiste weiter – in der Hoffnung das es bei diesem Menschen ankommt … ist eher unwahrscheinlich … aber ein Lächeln bleibt dir ins Gesicht geschrieben –
    … hier in Polen sind die Menschen zum größten Teil sehr locker aber diszipliniert im Umgang von Höflichkeit .. es wird schon von weitem zugewunken und ein lauter herzlicher Gruß oder eine Umarmung auf der Straße gehören quasi zum Alltags-Bild… die Verniedlichung von Vornamen oder Gegenständen kommen von Herzen- es fühlt sich dabei niemand anstößig angesprochen …
    – in Betrieben herrscht ebenfalls eine ähnliche Höflichkeitsform – ein nett ausgesprochenes *Panie Janku (Jan)- oder Pani* Zuzka (zuza) bewirken wahre Wunder … das *Bitte* davor wird niemals vergessen 😉

    ich grüße alle recht herzlich und behaltet euren Stolz mit ein klein wenig Freundlichkeit mehr im Gepäck … ***zwinker***
    lieb grüß zur Nacht aus Polen … die zuzaly mit Herz <3

    1. Ich danke Dir, es ist genau die richtige Einstellung. Wir können alle viel voneinander und von Anderen lernen.
      Liebe Grüße aus dem Kraichgau und Gute Nacht

  5. Ich denke auch, Du bist da mit Deiner Einstellung nicht allein.
    Mit unehrlicher Oberflächlichkeit kann ich auch nichts anfangen und zeige das mitunter auch schon mal. Natürlich wird man dann nichts Jedermanns Liebling – aber Leute, die das sind, sind mir wiederum eher suspekt.
    Und ja, der „schöne Tag“ ist inzwischen fast schon das normale Ende einer Konservation.

    Gute Nacht und LG!

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