Alles anders II

Ihr habt mich ermutigt und wolltet wissen, wie es weitergeht… Bitteschön! Wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat – Bitteschön hier entlang Teil 1…

Jetzt sass er wieder in diesem Sessel in seinem Hotelzimmer. Das Telefonat mit seiner Partnerin, mit der er schon gut 8 oder 9 Jahre zusammen war, hatte ihn dann doch noch beschäftigt. Er hatte ihr erzählt, dass er gekündigt hätte, alles, was sie dazu sagte, war nicht wirklich aufbauend. Sie sprach von diesem Haus, welches sie kaufen wollten und von der Reise in die Karibik. Sie sprach davon, dass er sich das wohl nicht genug überlegt hätte und sie ja froh wäre, einen eigenen  Job zu haben, damit sie nicht ganz ohne Geld da stehe. Er konnte dazu eigentlich nicht viel sagen und irgendwann beendete sie das Gespräch mit dem Wort „Dummkopf“. Er konnte ihr nicht einmal erklären, warum er gekündigt hatte, wieso das, was ihm sein „Freund“ Peter angeboten hatte, für ihn so nicht in Frage kam. Sollte er sie nochmal anrufen? Er liess es jetzt einfach so stehen. Er hatte das Gefühl, plötzlich einsam zu sein.

Es kamen ihm Zweifel, ob es schlau war, den Job zu kündigen. Gab es ein Zurück? Nein, für ihn nicht. Er war sich aber bewusst, dass er gegen eines seiner eisernen Prinzipien, nämlich bei schwierigen Entscheidungen erst einmal eine Nacht darüber zu schlafen, verstossen hatte. Vielleicht wäre der Job in der Konzernzentrale doch nicht so schlecht gewesen? Hätte er vielleicht doch noch Gestaltungsmöglichkeiten gehabt? Hätte er seiner Freundin gleich beichten sollen, dass er keinen Job mehr hatte? All das erschien ihm nicht mehr so eindeutig. Jetzt kam ihm dieser lateinische Spruch wieder in den Sinn: „Alea acta est“

Er nahm sein Handy in die Hand, um nachzuschauen, ob sich Peter vielleicht doch nochmal gemeldet hätte. Ihn vielleicht doch noch überreden würde, sein Angebot anzunehmen. Keine Email, keine SMS. Er kauerte noch eine ganze Weile in diesem weichen Sessel, drehte ihn zwischenzeitlich so, dass er nach draußen schauen konnte. Einzelne Vögel zogen vorüber und auf der Turmuhr des Michel sah er, dass er schon fast zwei Stunden dort sass. Es wurde dunkel und ihm wurde klar, dass wohl wirklich alles anders war. Er fragte sich, ob er für das Gespräch mit seinem Freund am nächsten Tag irgendetwas vorbereiten könne. Er war es gewohnt, sich auf wichtige Gespräche vorzubereiten. Vielleicht sollte er sich erkundigen, was dessen Firma alles so machte, sie hatten sich vor ein paar Monaten bei einem Glas Wein einmal darüber unterhalten, aber ein richtig gutes Bild hatte er davon nicht. Seinen Lebenslauf auf aktuellen Stand bringen? Sich in seinen Netzwerken nach anderen geeigneten Position umschauen? Ihn überkam eine Schwere, er konnte sich zu nichts entscheiden. Noch einen Drink!

Die Hotelbar war gemütlich eingerichtet, einige Tische waren besetzt. Er war der einzige Gast, der alleine an einem Tisch in der Ecke Platz nahm. Ihm gegenüber ein Pärchen, welches sich ziemlich verliebt in die Augen sah und Champagner bestellte. Am anderen Tisch wohl zwei Kollegen oder Geschäftspartner, die sich über die erfolgreichen Geschäfte des Tages unterhielten. Ein älteres Ehepaar, welches ein paar Tage in der Hansestadt als Urlauber verbrachten. Er bestellte sich ein Glas Weißwein, die Servicekraft, eine nette, attraktive junge Frau, dem Dialekt nach, wohl aus Sachsen, fragte ihn auch, ob alles gut sei und ob er einen schönen Tag hatte. „Alles gut, Danke, mein Tag war… erfolgreich“. Diese 1-2 Sekunden Pause war für sie ein Zeichen, dass es wohl besser sei nicht nachzufragen. Sie brachte ihm seinen bestellten Wein, etwas Knabberzeug und verliess ihn auch gleich wieder mit einem „Wohlsein“.

Dieses erste Gefühl der Freiheit, die Gewissheit, das Richtige getan zu haben wich jetzt dem Gefühl, erst einmal auf sich allein gestellt zu sein. Er hatte viel aufgegeben, von einer Minute auf die andere, das wurde ihm jetzt klar. „Bringen Sie mir bitte noch ein Glas?“ Die Bar wurde leerer, das ältere Ehepaar ging zu Bett, sie waren müde, dem Ehemann wurde untersagt, sich noch ein Bier zu bestellen. Das Pärchen kicherte noch etwas, bevor sie dann auch aufs Zimmer gingen. Die Geschäftsfreunde plauderten noch ein wenig über den nächsten Dienstwagen und dann kamen noch drei Engländer in die Bar, die, so wie er es verstanden hatte, einen sehr erfolgreichen Abschluss am Abend hatten und noch einen Absacker zu sich nehmen wollten. Er sass immer noch in seiner Ecke und prüfte ab und an sein Handy auf eingegangene Nachrichten. Sendepause…

Als er dann so ziemlich als Letzter die Bar verliess, wusste er, dass die kommende Nacht wohl eine lange, ohne allzu viel Schlaf werden würde. Auch das kannte er schon, wenn er wieder einmal Streit mit seiner Partnerin hatte, sich ein Geschäft nicht so entwickelt hatte, wie er sich das vorstellte oder weil ihn einfach tausend Gedanken plagten. Er ging vor die Tür, beschloss noch einen Spaziergang zu machen. Es war kühl, ein kalter Wind zog um das Hotel und es musste wohl vorher erst geregnet haben. Er ging los, Richtung Innenstadt, Richtung Jungfernstieg. Spaziergänge hatten ihm immer geholfen, müde zu werden, den Kopf frei zu kriegen. Vielleicht klappte das ja auch an diesem Abend. Er lief am Fleet hinunter, der direkt am Jungfernstieg in die Binnenalster mündet. Nicht einmal das majestätisch beleuchtete Rathaus konnte er geniessen.

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Er drehte wieder um, über den Neuen Wall zurück zum Hotel. Es war spät, nach 1 Uhr, wie er sein Zimmer betrat. Er beschloss nun schlafen zu gehen, machte sich fertig und legte sich ins Bett.

Es war eine lange Nacht, schier endlos kam sie ihm vor. Eine fast schlaflose Nacht und jedes Mal, wenn er einschlief, träumte er wirres Zeug, um sofort wieder aufzuwachen. Er konnte sich nicht beruhigen, kam nicht wirklich zur Ruhe. Doch er musste fit sein für den Tag, der da kommen würde, für den Tag, an dem er vielleicht seine Zukunft mit beeinflussen konnte. Irgendwann war er so müde, dass er einschlief. Ein unruhiger Schlaf, aber immerhin, ein paar Stunden waren es dann doch, bis ihn der Wecker gegen 8 Uhr aus diesem unruhigen Schlaf fast schon erlöste.

Es war der Tag eins, nachdem sich alles geändert hatte. Das war ihm sofort bewusst und trotzdem war er guter Dinge, dass sich sein Leben nun ändern würde. Er stand auf und machte sich frisch. Eine kalte Dusche würde ihm helfen, wach und fit für diesen Tag zu werden. Entgegen seiner Gewohnheiten beschloss er, ausgiebig zu frühstücken. Bislang hatte er das Frühstück immer zugunsten seiner Terminplanung ausfallen zu lassen oder eben nur kurz einen Kaffee. Er hatte Zeit. Er hatte keinen Termindruck heute. Das Treffen   mit seinem Freund hatte er erst am späten Vormittag.

Er fühlte sich frisch, voll Tatendrang. Erleichtert auch auf unbestimmte Weise. Jetzt beim Frühstück wollte er dann auch ein paar Erkundigungen über die Firma seines Freunds einholen. Vorbereitet zu einem Termin zu gehen, das war er gewohnt, gab es ihm doch eine Sicherheit, die er brauchte. Als er im Restaurant Platz nahm, bestellte er sich einen Cappuccino, ging zum Buffett und stellte sich ein leckeres Frühstück zusammen. Er wollte gut gestärkt in diesen Tag starten. Seinen Laptop hatte er dabei und sein Handy war ungewöhnlich stumm. Während er sich sein Brötchen belegte, schaute er, auch das war mittlerweile zu einem Ritual geworden, welche Emails eingegangen waren. „Keine neuen Emails“, auch keine Anrufe… Es dauerte nur einen Moment, bis er bemerkt hatte, dass sein Email-Account gar nicht mehr funktionierte. „Die waren aber wirklich schnell“, dachte er. Ankommende Anrufe wurden sicherlich auch schon auf die Zentrale umgeleitet. Aber den Internetzugang hatte er noch. So konnte er sich über die Firma seines Freundes schlau machen. Unternehmensberatung, spezialisiert auf Verrieb und Prozess-Optimierung. „Neue Wege für den Vertrieb in Zeiten des Wandels“ war der Slogan, der ihm schon auf der Startseite auffiel. Déja Vu?

Über eine Stunde liess er sich Zeit für das Frühstück, beschäftigte sich noch mit den Referenzen und den Dienstleistungsangeboten dieser Firma. Ihm war im Moment noch nicht klar, welches Jobangebot ihm sein Freund machen konnte und wollte. Aber er hatte ein klareres Bild von dem, was ihn erwarten würde. Im Bundesanzeiger sah er auch die letzten Geschäftsberichte ein und konnte auch so beurteilen, dass es dieser Firma ganz gut gehen muss. Alles in allem, kein schlechtes Gefühl. Er war im Bilde.

Als er zum Fahrstuhl ging, an der Rezeption vorbei, sprach ihn die nette Dame vom Front-Desk an. „Herr Wagner… ich habe eine Nachricht für Sie“.

In einem verschlossenen Umschlag überreichte sie ihm die Nachricht. Er musste den Empfang quittieren. Auf seinem Zimmer, in „seinem“ Sessel Platz genommen, öffnete er mit einer Vorahnung den Umschlag. Es war ein Fax seiner Firma, gekennzeichnet mit einem Vertraulichkeitsvermerk. Darin stand in knappen Worten, dass es ihm ab sofort untersagt sei, das Diensthandy und den Laptop weiter zu nutzen. Ein Kurier würde die Geräte noch am Vormittag abholen, er möge sie bereitstellen. Wegen der Rückgabe des Dienstwagens möge er sich umgehend in der Zentrale melden, damit ein Termin zum Ende seiner Beschäftigung zum 31.08.16 vereinbart werden könne. Auch untersagte man ihm, mit bestehenden Kunden Kontakt aufzunehmen. Sofortige Freistellung und anrechenbarer Urlaub…

Er kannte dieses Vorgehen der Firma von Kollegen, denen gekündigt wurde oder von denen, die selbst gekündigt hatten. Er hoffte dabei immer, dass er nicht einmal Empfänger einer solchen Nachricht werden würde. „So schnell geht das also, Respekt…“, dachte er. Also war er nicht mehr erreichbar, konnte auch nicht mehr telefonieren. Er startete noch einmal den Laptop und löschte private Emails und Fotos. Auch notierte er sich die Adresse der Firma seines Freunds und schrieb sich ein paar wichtige Telefonnummern auf, die ihm vielleicht ganz nützlich sein könnten. Er hatte seit Jahren keinen eigen PC mehr und das private Handy längst stillgelegt.

Er packte die Geräte zusammen und gab sie an der Rezeption ab. Er hinterliess einen Vermerk, dass der Kurier den Empfang bitte bestätigen möge. Ein komisches Gefühl, er war über 20 Jahre für diese Firma tätig und innerhalb ein paar weniger Stunden war er raus! Da er jetzt noch etwas Zeit hatte, beschloss er, einen Spaziergang zu machen um dann vom Rathaus oder Jungfernstieg mit einem Taxi zu seinem Freund zu fahren.

Die Firma seines Freundes war im Stadtteil Winterhude nahe dem gleichnamigen Stadtpark. Ein repräsentatives Firmengebäude mit hellem Eingangsbereich und einer netten jungen Frau am Empfang, bei der er sich anmeldete. Fast wäre ihm der Name seiner ehemaligen Firma bei der Vorstellung rausgerutscht. Man bot ihm einen Kaffee an und bat ihn in der gemütlichen Sitzecke Platz zu nehmen.

Sein Freund, Frank, der Geschäftsführer dieser Firma mit fast 200 Mitarbeitern mit fünf   Niederlassungen in Deutschland und Österreich holte ihn persönlich ab. Sie begrüssten sich herzlich. Die beiden Freunde, die sich etwas aus den Augen verloren hatten, beschlossen, einen Spaziergang durch den Stadtpark zu machen, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Das Wetter war angenehmer an diesem Vormittag. Erst erzählten die beiden Freunde, wie es ihnen nach dem letzten Treffen privat erging. Redeten über ihre gemeinsame Studienzeit und was das für eine verrückte Zeit war, damals in München. Dann musste Klaus erzählen, wie es ihm erging, was er bislang gemacht hatte und wie er sich fühlte. Immer noch sehr professionell, wie er es gewohnt war und immer noch sehr respektvoll von seinem bisherigen Arbeitgeber sprechend.

Dann sagte Frank: „Gewiss hast Du Dich ja schon über uns informiert, welche Informationen brauchst Du noch von mir? Ich weiss, welche Umstrukturierungen in Deiner Firma gerade vor sich gehen und kann mir auch vorstellen, dass es da noch ganz andere treffen wird.“  Klaus war etwas erstaunt, hatte er doch erst gestern Abend davon erfahren. „Woher weisst Du was meine Firma, meine ehemalige Firma, gerade alles tut?“ Frank erzählte ihm von einem Projekt, welches er und sein Team im Auftrag des Mutterkonzerns von Klaus begleiten sollte, es aber dann nicht zu einem Auftrag kam, weil die Erwartungen des Konzerns nicht mit der Philosophie von Franks Firma übereinstimmten. Frank wusste also viel mehr, wie er am Telefon sagte. „Dass sie dich jetzt auch aus dem Projektvertrieb raushaben wollen, damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet, aber gut für uns. Ich glaube, Du würdest als Senior-Project-Manager gut zu uns passen!“  Frank erzählte dass Klaus‘ Erfahrung und sein Netzwerk sehr nützlich wären, für ihn selbst und die Firma. Klaus sollte ein Projektteam leiten, welches internationale Aufträge abwickle. Er sei dann für die Anbahnung von Geschäften verantwortlich. „Den Sack machen dann unsere hungrigen Junior Verkäufer zu. Wenn Du möchtest, lasse ich Dir mal einen Vertragsentwurf zukommen“ Klaus fragte dann noch, ob es eine Festanstellung wäre oder eine freie Mitarbeit mit Beratervertrag. Frank stellte es ihm frei, wobei er Klaus lieber fest in der Firma hätte. Damals, wie sie sich unterhalten hatten, war ja nur von einer freien Mitarbeit die Rede, das schien jetzt keine Option mehr zu sein.

Nach etwa einer Stunde waren die beiden wieder am Firmengebäude zurück und verabschiedeten sich herzlich. Frank versprach, Klaus noch am Nachmittag eine Email mit den Rahmenbedingungen und einem Vertragsentwurf zukommen zu lassen. Die Handynummer würde Klaus nachreichen.

Klaus beschloss, ein Stück zu Fuß zu gehen und sich ein Geschäft mit Computer- und Handyabteilung zu suchen. Er musste ja schließlich wieder erreichbar sein und viele Dinge regeln. Bislang reichte immer ein Anruf in der IT-Abteilung und er wurde versorgt. Auch den Vertragsentwurf würde er ja innerhalb weniger Stunden erhalten.

Es war viel passiert, innerhalb nicht mal 24 Stunden.


…wird fortgesetzt, dieses Mal frage ich nicht, ob ich die Geschichte fortsetzen soll, weil ich schon weiß, wie sie weiter geht…

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21 Gedanken zu „Alles anders II

      1. Hallo.

        Richtig gute Story, die neugierig macht, wie es weitergeht.

        Und an Deinem Schreibstil ist ja so wenig verändert worden.

        Bei vielen anderen Schreibern, auch namhaften, denke ich oft: „Muß ich das lesen?“

        Mir gefällt es, wie Du schreibst.

        Liebe Grüße,
        Frank

        1. Das ist ein wirklich tolles Kompliment, lieber Frank. Ich habe Gefallen daran gefunden… Und das Schöne an einer solchen Geschichte ist ja auch, dass man verschiedene Szenarien betrachten kann… Ich werde weiterschreiben!
          LG
          Thomas

  1. Schreiben! Das kannst Du! Das ist eine Gabe. Bleib da unbedingt dran. Macht richtig Laune und ist mal ne Abwechslung zu all den Bilder in der bzw. meiner Bloggerwelt. Da besteht doch ab und an die Gefahr der Reizüberflutung. Deine Texte sind da ne echt schöne Abwechslung!!

  2. Deine Fortsetzungsgeschichte werden ich diese Woche einmal fertig lesen. Bin jetzt doch gespannt wie es weiter geht.

    Und schmunzeln durfte ich auch:
    Unternehmensberatung, spezialisiert auf Verrieb und Prozess-Optimierung

    Das klingt ja schon ein bisschen wie Unternehmensberatung spezialisiert für Schredderlogie. ,-)

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